Blogchat
08.07.2020
/ Von Jens Coldewey

Nach einem Vierteljahr Corona machen sich drei unserer Trainer*innen Gedanken, welche Vor- und Nachteile Remote Trainings gegenüber Präsenzveranstaltung haben. Die Teilnehmer*innen:

  • Alisa Ströbele: Akkreditierte Kanban Trainerin und Coach
  • Jens Coldewey: Akkreditierter Kanban Trainer, Certified Scrum Trainer und Coach
  • Sabine Canditt: Certified Scrum Trainerin seit über zehn Jahren

Jens: Willkommen zu unserem Blog-Chat-Experiment. Wir haben uns – wie könnte es anders sein – ein Corona-Thema vorgenommen: Trainings Remote, oder doch lieber Face-To-Face? Lasst uns mit Remote Trainings starten: Wie fühlt es sich als Teilnehmer an, an einem Remote-Training teilzunehmen?

Sabine: Es fühlt sich ok an, ich bin in meinem Home Office und habe keinen Stress mit der Anreise.

Alisa: In den letzten Wochen war ich in beiden Rollen unterwegs – als Teilnehmerin und als Trainerin bei den Remote Trainings. Wie hat es sich als Teilnehmerin angefühlt? Ich war sehr neugierig ob es überhaupt klappt: die ganze Technik, Menschen von überall auf der Welt… Also es hat sich nach Neuland angefühlt 😉

Sabine: Für mich war es, wie ich es aus vielen Meetings kenne. Ich war immer versucht, nebenher E-Mails zu lesen oder andere Sachen parallel auf meinem Rechner zu machen.

Jens: Wenn Du immer nebenher Sachen gemacht hast, wie effektiv war das Training dann für Dich?

Sabine: Ich bin auch bei Präsenztrainings nicht immer bei der Sache ;-). Die wesentliche Frage ist, wie stark man als Teilnehmer*in aktiv ist. Wenn es genügend Übungen und Interaktionen gibt, ist es ok. Ich war noch nicht in einem remote Training als Teilnehmerin, das sich über mehrere Tage erstreckt hat. Eher in der Größenordnung von Stunden.

Jens: Wie sehen Interaktionen Online aus?

Alisa: Ein Mix: Kurzer frontaler Input, viele Kleingruppen-Übungen, Einzel-Reflexionen, vielleicht ein Quiz oder kleine Umfrage. Und wenn dabei die Inhalte spannend sind und die andere Menschen sympathisch, gibt es eine große Chance, dass alle konzentriert bei der Sache bleiben. 

Sabine: Ich finde, ein Unterschied ist die Verwendung der Tools. Manchmal klappt das nicht sofort oder gar nicht, und das ist dann frustrierend. 

Jens: Das kenne ich aus anderen Remote-Konferenzen: Man verbraucht gefühlt die halbe Zeit, bis die Technik klappt. War das bei Euren Trainings auch so?

Sabine: Da war es unterschiedlich. In zwei Trainings null Probleme, in einem furchtbare Probleme. Wir haben zwei Vorbereitungs-Sessions gebraucht, bevor wir die Teilnehmer technisch an Bord hatten. Da sind zum Beispiel die Probleme mit Zoom, das in einigen Firmen nicht akzeptiert ist. Ich als Trainerin finde es sehr anstrengend, mich immer wieder an neue Tools gewöhnen zu müssen, und brauche immer eine gewisse Einarbeitung, bevor ich halbwegs sicher damit umgehen kann.

Alisa: Die Tools spielen eine sehr große Rolle. Ich hatte bisher wenig Tool-Frust gehabt. Es kommt bestimmt noch 😉 Und ja, ein Technik-Check Session vorab fand ich als Trainerin essenziell. 

Jens: OK, Perspektivenwechsel zur Trainerin: Was ist für Euch besser an Remote Trainings?

Sabine: Keine Anreise. Wenn das Trainingsmaterial einmal steht, so gut wie keine administrative Vorbereitung, also nichts ausdrucken lassen, keine Flipcharts vorbereiten etc. Kein Aufräumen nach dem Training. Keine Berge von Altpapier. Pausen, die wirklich Pausen sind. 

Jens: Also bei “keine Anreise” kann ich mich anschließen, ich fand aber gerade die ersten Trainings enorm aufwändig in der Vorbereitung: Miro Boards vorbereiten, auf die Teilnehmerzahl abstimmen, nochmal gute Ideen von den Kolleg*innen klauen… 

Sabine: Ja, die Anfangsinvestition war enorm. Beim ersten Training habe ich ca. eine Woche gebraucht. Ich habe einige Experimente gestartet, um zum Beispiel herauszufinden, wie ich einen Ersatz für Flipcharts finde, um online visualisieren zu können. Danach konnte ich einigermaßen mit den Tools umgehen. Für das zweite Training habe ich dann deutlich weniger Vorbereitungszeit gebraucht. Wenn ich die Trainings nun wiederhole, baue ich ein paar Verbesserungen ein, und das wars. Ich kann da mit meinem Miro-Material besser arbeiten als zum Beispiel mit gedruckten Materialien oder Texten in Word oder Confluence, wo es mir immer die Formatierung zerschießt ;-(.

Jens: Das Problem kenne ich – mit Deiner Word-Installation… 😉 Im Ernst: Ich finde es auch toll, wenn ich problemlos Videos und Web-Links einbauen kann und auch die Teilnehmer ihre Best-of-Videos gleich über miro teilen können. Das geht im Präsenztraining leider nicht.

Alisa: Ich würde nicht sagen “besser” oder “schlechter”. Es ist anders. Es gibt andere Möglichkeiten (z.B. visuell, unterschiedliche Formate…) und auch die Freiheit von überall auf der Welt Trainings zu machen und das auch für die Menschen zu ermöglichen, die sonst nicht dabei sein könnten. Und ja, ich bin dabei die “Grenzen” auszutesten. Wie ist es mit weniger sachlichen Themen? Wie ist es mit “In Verbindung” und “auf der gleichen Welle” zu sein – da sammle ich gerade meine Erfahrungen. 

Jens: Hast Du die Freiheit genutzt? Die Trainer*in vom Baggersee…? 🙂

Alisa: Nein, aber die Idee, zu Opa nach Schwabenland zu fahren und von da aus ein Training zu geben, steht an (er hat mittlerweile Glasfaser).

Jens: Klingt nach einem Plan.

Sabine: Ich war als Beobachterin bei einem Training  dabei, das ein Trainer in München, Alexey Subbotin, (pro bono) für eine Gruppe in Nepal gegeben hat. Das war absolut faszinierend. Die Leute waren so dermaßen motiviert, dankbar und glücklich, dass sie dieses Training bekommen konnten. Ich habe mir auch überlegt, Trainings aus der Wohnung meiner Mutter zu geben. Ich müsste nur meinen Laptop und meinen zweiten Bildschirm einpacken. Dazu ist es aber dann doch nicht gekommen.

Jens: Das finde ich eine coole Idee: Pro bono Trainings für Länder, die es sich sonst nicht leisten könnten. 

Sabine: Auch das Zusammenarbeiten mit Co-Trainern lässt sich remote einfacher organisieren, was mehr Gerechtigkeit bringt für Aspiranten, die in Ländern leben, von denen sie nicht dauernd nach Europa oder die USA reisen können, um Co-Trainings zu geben.

Alisa: Das Thema “Co-Training Remote” finde ich auch spannend. Es ist schon viel anders, als vor Ort zusammen zu grooven.

Sabine: Also: ich finde remote Trainings bequemer, aber die wichtigsten Argumente für mich sind nicht meine eigene Bequemlichkeit, sondern der ökologische Footprint und das nicht vorhandene Ansteckungsrisiko. 

Jens: Der ökologische Footprint ist aber nicht ganz so trivial, wenn ich alleine den CO2-Ausstoß höre, den man angeblich durch das Streamen von Spielfilmen 

verursacht – und die Stimmen, die sagen, dass solche Rechnungen falsch sind…

Sabine: Ich denke vor allem daran, dass die Reisen wegfallen. Wenn wir unsere Präsenztrainings in München geben, fällt das für uns nicht so ins Gewicht. Aber die Teilnehmer reisen ja auch. 

Jens: Nach so vielen Vorteilen stellt sich natürlich auch die Frage nach den Nachteilen. Welche seht Ihr da?

Sabine: Ich glaube dass das “Bonding”, die sozialen Beziehungen unter den Teilnehmern nicht so gedeihen. Wie wichtig ist das für den Trainingserfolg? Letztendlich gedeihen sie besser als ich das erwartet hätte, was auch von den Teilnehmern bestätigt wird. Generell ist das Feedback bei den remote Trainings sehr gut (NPS 10). Das liegt vielleicht an der geringeren Erwartungshaltung. Weiterer Nachteil für mich als Trainerin ist, dass ich mich schwerer tue, ein Gefühl für die Stimmung im Raum zu entwickeln. Also: sind die Teilnehmer*innen interessiert oder müde? Einfach mal durchlüften geht allerdings auch remote, auch Lockerungsübungen, das kann sogar ganz witzig sein.

Alisa: Ich habe es oben bereits erwähnt: Die Möglichkeit Beziehungen aufzubauen ist natürlicher, wenn wir einander nicht über die Bildschirme angucken. Für mich als Trainerin ist es viel anstrengender, die Stimmung der Teilnehmer  wahrzunehmen, weil ich schlicht nicht alle auf einmal sehen kann. Was in einem Präsenz-Training absolut natürlich und nebenher läuft, musste ich mir technisch aufbauen: mehrere Monitore nutzen, die Teilnehmer-Ansicht immer an einem der beiden Monitore haben.

Jens: Nachdem ich die letzten zwei Tage mein erstes Präsenztraining unter Corona-Bedingungen gegeben habe, bin ich mir aber auch nicht so sicher, ob die Beziehungen nicht auch unter dem Abstands-Gebot leiden. Ich habe aber trotzdem die Gespräche beim Mittagessen genossen und die kurzen Unterhaltungen in den Pausen. Ich hatte tatsächlich viel mehr den Eindruck, Beziehungen aufzubauen und nicht nur Gesichter in Bildschirmen zu sehen.

Sabine: Da gebe ich dir absolut recht. Wie wir schon besprochen haben, sind die Vorteile eines Präsenztrainings unter Corona-Abstandsbedingungen aus meiner Sicht nicht so riesig, dass ein Ansteckungsrisiko dadurch gerechtfertigt ist. Für mich als alternde und eher introvertierte Trainerin sind die Remote-Trainings mittlerweile weniger anstrengend als die Präsenztrainings. Die Anzahl der Trainingsstunden pro Tag sind geringer, und wir machen mehr Pausen. Ich erhole mich viel besser, wenn ich in den Pausen in die Küche gehe und was koche, oder einen Spaziergang mache, oder auf der Terrasse Zeitung lese.

Jens: Das “alternd” fällt jetzt aber unter “fishing for compliments”!

Sabine: Komm du mal in mein Alter, dann weißt du, was ich meine 😉

Jens: Ich fasse zusammen: Online Trainings funktionieren deutlich besser, als wir ursprünglich dachten und eröffnen einige neue Möglichkeiten – aber der Beziehungsaufbau funktioniert besser wenn man beieinander ist. Wer liefert jetzt noch “famous last words”?

Alisa: Es ist kein entweder oder, sonder ein sowohl als auch, was entsteht. Und es ist gut so 🙂

Jens: Danke für den Chat und noch einen schönen Abend!

Alisa: hehe, war schön 😉 Danke euch!

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