20.06.2016
/ Von Anja Stiedl

Bei der Vorbereitung unserer Session über Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg fiel mir ein anschauliches Beispiel aus meinem Alltag als Agile Coach ein, bei dem ich mithilfe der vier Schritte der GfK meinem Gesprächspartner helfen konnte, sich in einem Konflikt erst selbst Klarheit über seine Gedanken und Ziele zu verschaffen, bevor er in ein Klärungsgespräch ging. Ich werde es nicht für den Workshop verwenden, doch möchte ich diese Erfahrung hier  teilen.

Aber erst mal ein paar Informationen über diese „4 Schritte der Gewaltfreien Kommunikation“:

Beobachtung: man konzentriert sich erst einmal rein auf die Beobachtung der konkreten Handlung, die in dieser Situation geschehen ist. Dabei wird bewusst verzichtet auf Bewertungen und Interpretationen.

Gefühle: im Anschluss hinterfragt man, welche Gefühle mit dieser Handlung ausgelöst werden.

Bedürfnisse: Bedürfnisse sind allgemeine Werte oder Wünsche, die vermutlich jeder Mensch gerne hätte, die einen stärker, die anderen weniger. In diesem Schritt erarbeitet man, welche Bedürfnisse in der Situation erfüllt oder – bei negativen Gefühlen – eben nicht erfüllt wurden.

Bitte: Zuletzt formuliert man eine Bitte, mit der man beim Konfliktpartner um eine konkrete Handlung anfragt, um das eigene, unerfüllte Bedürfnis zufrieden zu stellen.

Marshall B. Rosenberg fasst dies kurz so zusammen:

Wenn ich sehe, dass du A tust, fühle ich B, weil ich das Bedürfnis nach C habe. Deshalb bitte ich dich, D zu tun. Wie wäre dies für dich?

Als Beispiel eine Mutter zu ihrer Tochter (im Teenager-Alter):

Wenn du jeden Morgen diesen kurzen Rock zur Schule anziehst, bin ich enttäuscht und erschöpft, denn ich habe die ewige Diskussion satt und das Bedürfnis nach Leichtigkeit und Harmonie in unserer Familie. Kannst du dich bitte selbständig darum kümmern, dass du die Kleiderregelungen deiner einhältst?

Aber zurück zu dem Arbeitsgespräch, von dem ich erzählen möchte:

Mein Kollege Anton regte sich sehr über einen weiteren Kollegen Robert auf, der eine Email geschrieben habe, um ihn fertig zu machen. Robert habe eine bestimmte Dokumentation im Projekt vermisst, die Antwort von Anton war ihm aber nicht gut genug und so habe er eine Email an verschiedene Manager geschrieben, in der er betonte, dass Anton in Bezug auf dieses Dokument auch keine Ahnung habe, und ihn damit anschwärzte.

Mit der Anwendung der 4 Schritte der GfK kamen wir zu diesem Erkenntnissen:

Beobachtung:

  • Robert hat Antons Vorschläge in Bezug auf das fehlende Dokument nicht verwendet.
  • Robert hat eine Email geschrieben.     

Hier erwähnte Anton aber auch weitere Beobachtungen, die nicht mit der aktuellen Konfliktsituation in Zusammenhang stehen, insbesondere „Robert grüßt mich nicht.“ Dieser Satz wurde zum Thema für die weiteren GfK-Schritte, da Robert ihn als zentralen Konfliktpunkt bezeichnete.

Als Gefühle benannte Anton, dass er verärgert, enttäuscht und frustriert sei.

Unerfüllt blieb ihm das Bedürfnis nach Sichtbarkeit und Anerkennung.

Als Bitte wünschte sich Anton, dass Robert ihn konkret in Tätigkeiten der Projektarbeit einbeziehen möge.

Insgesamt formulierte Anton für sich diesen Satz:

„Wenn Du mich nicht grüßt, bin ich enttäuscht und frustriert, denn ich möchte, dass mein Einsatz hier für die Abteilung gesehen wird. Könntest Du mir bitte sagen, wie ich dich sinnvoll unterstützen kann?“

Meine Erfahrungen…

Ich gebe dies hier nun alles kurz und knapp wieder, doch man muss sich bewusst sein, dass hinter diesem Satz ein langes Gespräch um Worte und Formulierungen steht. Insbesondere Anfängern der GfK fällt der Unterschied zwischen reinen Beobachtungen und Interpretationen, Gefühlen und Beschuldigungen schwer. Als Coach unterstützt man hier durch genaues Nachfragen, oder durch das Anbieten von verschiedenen Gefühlen oder Gefühlsnuancen.

Seien wir mal ehrlich: werden wir gefragt, wie wir uns fühlen, antworten wir „gut“ oder „schlecht“. Es gibt hingegen ein breites Spektrum dazwischen! Erschrocken, erschüttert oder entrüstet: auf den ersten Blick gleich, doch im Detail ein bisschen anders!

Ebenso schwer fällt es oft, das genaue Bedürfnis zu bestimmen. Für einen Coach hilfreich ist eine Liste von möglichen Bedürfnissen, damit man auch hier den Coachee an das richtige Wort hinführen kann.

Marshall Rosenberg nennt die folgenden allgemeinen Bedürfnisse: körperliches Wohlbefinden, Sicherheit, Liebe, Empathie / Einfühlung, Kreativität, Geborgenheit, Spiel / Erholung, Autonomie / Willensfreiheit, Sinnhaftigkeit.

Ein paar Tage später erzählte mir Anton, dass er ein offenes Klärungsgespräch mit Robert führen konnte und für sich selbst wertvolle Antworten und Sichtbarkeit erhalten hat.
Na, dann war es für mich wertvoll!

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