02.07.2020
/ Von Jens Coldewey

Die verordnete Zwangspause der Coronazeit führt bei vielen Coaches und Transitionsteams zu der Frage, wie die Transition eigentlich bisher gelaufen ist und wie es weitergehen soll, wenn das Gröbste überstanden ist. Wenn das Dauerfeuer des Tagesgeschäfts mal nachlässt, folgt oft Ernüchterung. „Offen gestanden sind wir nicht besonders wirksam“ haben wir die letzten Wochen häufiger gehört. Keine erfreuliche Erkenntnis, wenn man mit viel Enthusiasmus losgezogen ist, das eigene Unternehmen zu verbessern.

Mangelndes methodisches Wissen ist normalerweise nicht das Problem. Die Coaches sind in der Regel gut ausgebildet und auf dem Stand der Diskussion. Auch bei den handwerklichen Fähigkeiten hapert es selten: Moderation, Change Management, Führungsqualitäten sind alle auf hohem Niveau. Und es gibt auch die ein oder andere Managerin, die die Ideen aufgegriffen hat und gute Erfolge vorweisen kann. Aber von der erhofften Welle ist man noch mindestens so weit entfernt, wie am ersten Tag – wenn nicht weiter: Da gibt es den Abteilungsleiter, der nur irgendwelche Metriken haben will. Oder seine Kollegin, die zwar mal angefragt hatte, sich dann aber eigene Coaches geholt hat, die aber von echter Agilität keine Ahnung haben. Was ist da nur schiefgelaufen?

Ein Muster, das wir in solchen Situationen häufiger sehen, ist Lösungsfokus. Die Teams haben viel Aufwand und Herzblut investiert, um Agilität zu erklären, die Vorteile für die Organisation und was man alles ändern muss. Wer diese Vorteile nicht sieht, der muss blind sein, oder aber böswillig das „Alte Denken“ verteidigen. Einer von denen, die raus müssen, wenn wir erfolgreich sein wollen. Oder ist es gar nicht so einfach?

Eine alte Faustregel empfiehlt, den Fehler erst einmal bei sich selbst zu suchen. Nicht, weil er unbedingt dort liegen muss, sondern weil man auf das eigene Verhalten mehr Einfluss hat. Statt sich nutzlos zu ärgern, kann man auch mal die Perspektive wechseln und den widerspenstigen Manager als Kunden sehen und die Transition als Produkt. Für den methodisch versierten Coach eröffnet sich dadurch ein ganzer Werkzeugkasten, um sich Handlungsoptionen zu erarbeiten. Wie wäre es mit einer klassischen Produktvision? Zielgruppen, Bedürfnisse, Angebot und Mitbewerber sind auch in einer Transition spannende Aspekte, um herauszufinden, was wirklich gebraucht wird. Oder wie wäre es mit der Aufteilung des eigenen Angebots für verschiedene Kundensegmente? Vielleicht ist das Angebot, für das die Leiterin der Innovationsabteilung so schwärmt, für den Betriebsleiter nicht wirklich attraktiv, weil sie schlichtweg sehr unterschiedliche Aufgaben haben.

Hat man erstmal Zielgruppen identifiziert, bietet es sich an, mit einer klassischen Value Proposition Canvas ein attraktives Wertversprechen für die einzelnen Zielgruppen zu erarbeiten. Die Schwierigkeit liegt dabei darin, auch für die scheinbar widerspenstigen Manager die Bedürfnisse zu analysieren. Will man wirklich ein Angebot für den machtgeilen Kontrollfreak erarbeiten? Oder verrät man damit nicht sein eigenes Wertesystem? 

Wer vor dieser Frage steht, ist vielleicht weniger einem pathologischen Soziopathen aufgesessen, als den eigenen Vorurteilen. Man könnte alternativ auch mal annehmen, dass der Wunsch nach Kontrolle nicht Zeichen einer Persönlichkeitsstörung ist, sondern eher einem bestimmten Bild professionelle  Managements entspringt und dem Wunsch einfach gute Arbeit zu machen. Für diese Bedürfnisse könnte man doch etwas anbieten, ohne sich verbiegen zu müssen. Wenn es gelingt, an diesem Wunsch nach guter Arbeit anzuknüpfen, kann man vielleicht das Verständnis erweitern, wie „professionelles Management“ aussehen kann und so neue Handlungsoptionen eröffnen. Wenn das gelingt, so zeigt die Erfahrung, hat man oft nicht nur ein Problem gelöst, sondern auch gleich einen neuen Mitstreiter gewonnen.

Wie bei jeder agilen Produktentwicklung muss man sich natürlich darüber im Klaren sein, dass jede Annahme über eine Zielgruppe nur eine Hypothese ist und validiert werden sollte. Damit hat man schon wieder ein paar neue Ideen für das nächste Backlog Refinement.

Wenn man also mit der eigenen Wirksamkeit unzufrieden ist, könnte es daran liegen, dass man eine Lösung anbietet, für die die Kunden einfach kein passendes Problem haben. Oder sie mögen die Lösung nicht. Der agile Werkzeugkasten enthält genügend Ideen, wie man sein eigenes Angebot an den Bedürfnissen seiner Kunden ausrichten kann, ohne dabei die eigene Vision zu verraten.

Mehr über den Aufbau von Agilen Transitionen erfahren Sie in unseren Certified Agile Leadership Kursen. In unseren Certified Scrum Product Owner Trainings können Sie mehr über Visionen und Hypothesen lernen. Der Umgang mit einer Value Proposition Canvas ist eines der Themen aus dem Advanced Certified Scrum Product Owner Training.

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