hr ins boot holen
03.12.2019
/ Von Sabine Canditt

Teil 1Teil 3

Nachdem ich mich im ersten Teil mit der Frage beschäftigt habe, warum und wie agile Coaches HR mit ins Boot holen sollten, geht es jetzt um die konkrete Umsetzung.

Ja, es lohnt sich, mit HR zu reden, da beide Seiten davon profitieren können. Wie könnten jetzt konkrete Lösungen aussehen? Wir wissen ja, dass es für eine agile Transformation kein Patentrezept gibt und jedes Unternehmen seine eigene Reise antreten muss. Genauso wenig gibt es diese Patentrezepte für den Beitrag, den HR leisten kann. Es gibt allerdings eine Fülle von inspirierenden Beispielen, von denen ich einige herausgreifen möchte. Ich unterscheide in bewährter agiler Manier zwischen Prinzipien (generelle Leitlinien für unser Handeln, einigermaßen kontextunabhängig) und konkreten Praktiken (immer kontextabhängig).

Sourcing / Recruiting und Onboarding

Prinzipien:

  • Die besten Mitarbeiter ansprechen (Employer Branding): „The right people in the right seats“ – das schafft ein Unternehmen heute nur noch, wenn es seinen Mitarbeitern Freiräume und Möglichkeiten zur Gestaltung aufzeigen kann. Um die begehrten, gut ausgebildeten Millennials zu ergattern, muss ein Unternehmen sich um ein positives Image bemühen. Es gibt unterschiedliche Untersuchungen darüber, was Millennials suchen und brauchen, und natürlich gibt es auch hier enorme individuelle Unterschiede (ich weiß wovon ich rede, ich bin die Mutter von zwei solchen Exemplaren).  Mit Sicherheit sind sie als Digital Natives technikaffin. Sie legen Wert in der Regel auf Selbstverwirklichung und lassen sich Zeit, ihren Weg zu finden. Die Sinnhaftigkeit der Arbeit spielt für viele eine große Rolle.
  • Auf die Wünsche der Kandidaten eingehen: Weil sich potenzielle neue Mitarbeiter nicht über einen Kamm scheren lassen, sollten wir uns also auf jeden Menschen einlassen, um herauszukriegen, was ihnen in der Arbeit wichtig ist. Welche ihrer Vorstellungen kann unser Unternehmen ihnen anbieten? Flexible Arbeitszeiten? Home Office? Weiterbildungsmöglichkeiten? Die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Engagement?
  • Die richtigen Mitarbeiter gewinnen: In der Vergangenheit wurden Einstellungen sehr stark nach vorhandenen Fähigkeiten oder Erfahrungen vorgenommen. Für ein agiles Unternehmen spielt das Mindset eine noch wichtigere Rolle. Passt es zu der gewünschten, neuen Unternehmenskultur? Mit einem „growth mindset“ traue ich anderen (und mir selbst) zu, beliebige Fähigkeiten zu erlernen und flexibel in unterschiedliche Aufgaben im Unternehmen hineinwachsen zu können.
  • Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen geben: ein Vorstellungsgespräch oder Assessment Center nur mit Vorgesetzten und Personalern vermittelt beiden Seite keinen realitätsnahen Eindruck. Auf jeden Fall sollte der Kandidat das zukünftige Team kennenlernen. Vielleicht gibt es ja einen Team-Tag oder auch einen normalen Arbeitstag, in den der Kandidat hineinschnuppern kann?
  • Das zukünftige Team in die Entscheidung einbeziehen: Wer letztendlich die Entscheidung für eine Neueinstellung trifft, hängt von der Organisationskultur ab. In einigen Unternehmen ist diese Entscheidung dem Team überlassen, in anderen den Führungskräften. In diesem Fall sollten sie aber zumindest die Meinung des Teams einholen.
  • Neue Mitarbeiter in die Organisationskultur einführen:  z.B. durch Mentoren, Buddy Systeme
  • Akzeptieren, dass Mitarbeiter das Unternehmen wieder verlassen werden: Auch wenn man sich viel Mühe bei der Auswahl gibt, ist es ganz normal, dass man nach einer gewissen Zeit feststellt, dass man doch nicht zusammenpasst. Dieser Prozess sollte fair gestaltet sein. Der Kandidat hat Anspruch auf ein offenes und konstruktives Feedback. Dies gilt natürlich nicht nur für neue Mitarbeiter.

Beispiel:

Bei Menlo Innovations ist Pair Programming ein wichtiges Arbeitsprinzip und der Kern der agilen Zusammenarbeit. Wie kann man beim Bewerbungsprozess herausfinden, ob sich der Bewerber dazu geeignet ist? Während eines Bewerbertages arbeiten die Kandidaten in wechselnden Paaren an typischen Aufgaben und werden dabei von Mitarbeitern beobachtet. Das Ziel und Bewertungskriterium ist dabei nicht, sich selbst besonders positiv darzustellen, sondern den Partner! Die Beobachter entscheiden auf dieser Basis über den nächsten Schritt, eine dreiwöchige Probearbeit. Auch die Scrum Alliance hat von diesem Vorgehen bei Neueinstellungen inspirieren lassen.

Bei improuv haben wir eine Hiring-Gruppe ins Leben gerufen. Die Hiring Gruppe besteht aus 3 Kollegen aus unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen. Uns war wichtig, alle Perspektiven aus unserem Unternehmen abzudecken, nämlich aus der Geschäftsführung, aus dem Back Office und aus der Beratung bzw. Coaching. Die Hiring-Gruppe ist vom gesamten Unternehmen befähigt Kandidaten zu suchen, Interviews zu führen und eine Vorauswahl zu treffen. Ist ein Kandidat in der engeren Auswahl, wird dieser eingeladen, um das gesamte improuv Team kennenzulernen. In dem Kennenlerntermin mit dem Gesamtteam bekommt der Kandidat kleine Aufgabe, z.B. die Moderation einer kollegialen Fallberatung. Die Entscheidung, ob der Kandidat einen Arbeitsvertrag angeboten bekommt, trifft das gesamte Team.

Leistungsbeurteilung und Zielvereinbarungen

Prinzipien:

  • Anerkennung ist wichtiger als finanzielle Anreize: Für viele Unternehmen ist Geld immer noch das hauptsächliche Anreizsystem, wenn sie Verhalten aufbauen wollen. Aus der Psychologie und der Forschung ist jedoch gut bekannt, dass Geld als Motivationsmittel überschätzt wird und sich sogar negativ auf die Motivation auswirken kann. Immaterialle Anreize wirken oft stärker – und kosten sogar weniger. Die Anerkennung der Leistung durch Vorgesetzte und Teams ist einer dieser Anreize.
  • Neue Modelle zur fachlichen und persönlichen Weiterentwicklung: Klassische Karrierepfade waren in der Vergangenheit oft gleichbedeutend mit dem Erklimmen einer disziplinarischen Führungs-Leiter (vom Teamleiter zum Abteilungsleiter usw.). In einem agilen Unternehmen ist dieses Karrieremodell stark in Frage gestellt: der einzelne Mitarbeiter trägt mehr Verantwortung, das mittlere Management ist nicht mehr so stark besetzt. Eine horizontale Karrierestufe kann bedeuten, seine fachliche Expertise zu erweitern und damit komplexere Aufgaben innerhalb eines Teams oder teamübergreifend übernehmen zu können.
  • Förderung des kundenorientierten Handelns statt Ausrichtung auf Hierarchien: Kundenorientierung ist ein wesentliches agiles Prinzip. Teams in agilen Unternehmen werden zunehmend funktionsübergreifend und kundenorientiert aufgestellt. Der Dienst am Kunden gewinnt Bedeutung gegenüber dem Dienst am Vorgesetzten und sollte daher auch stärker bewertet werden.
  • Gratifikationen auf Team-Ebene (wenn überhaupt) statt individueller Boni: Wenn wir den Wert der Teamleistung predigen, am Ende des Jahres aber Einzelleistungen belohnen, machen wir uns komplett unglaubwürdig! Die Teams können gemessen werden an ihrem Beitrag zum Unternehmenserfolg (z.B. durch Systeme wie Beyond Budgeting oder Objectives and Key Results (OKR), das auch bei improuv im Einsatz ist).
  • Kontinuierlicher Mitarbeiterdialog statt langfristiger Zielvereinbarungen:  Statt in Personalkonferenzen nur über High Potentials zu sprechen, erhält jeder Mitarbeiter ein holistisches Feedback von Kollegen und ggf. Kunden und Vorgesetzten, das auch Lernen, Weiterentwicklung und Unterstützung von Kollegen einbezieht. Dabei wird sowohl das „Was“ (Ergebnis) als auch das „Wie“ (Vorgehen) bewertet.

Beispiel:

Bei Sipgate GmbH gibt es ein auf einer Formel basierendes Gehaltsmodell (Lean Salary Modell), das Gehaltsverhandlungen überflüssig macht. Die Formel berücksichtigt Betriebszugehörigkeit und Erfahrung. Dieses Beispiel zeigt, dass das Gesamtpaket stimmen muss und Geld dabei nur eine Komponente ist. Auch die Lernerfahrungen, die das Unternehmen mit diesem Ansatz gemacht hat, sind interessant.

Wie auch bei sipgate sind Gehaltsverhandlungen bei improuv überflüssig, da wir ein transparentes Gehaltsmodell haben. Das Gehaltsmodell bei unseren Coaches, Trainern und Beratern ist ausgehend vom erwirtschafteten Umsatz unter Berücksichtigung allgemeiner Kosten. Jeder Mitarbeiter bei improuv kennt das Gehalt des anderen Kollegen, aber auch die Kostenstruktur unserer Firma. Folglich gehen wir sehr bewusst mit Investitionen um und entscheiden große Investitionen im Plenum. Diese Transparenz hilft uns, informierte Entscheidungen zu treffen und verhindert, dass Entscheidungen und Investitionen als unfair wahrgenommen werden oder unklar sind.

Im nächsten Blog werde ich Euch noch einige Aspekte von HR und agiler Führung vorstellen.

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