13.03.2020
/ Von Zoi Natsiopoulou

Als ich zum ersten mal von OKR´s hörte, war ich Feuer und Flamme. Dazu muss man wissen: ich bin in einem Konzern „sozialisiert“ worden. Im Vertrieb! Das heißt Jahr für Jahr endlose Diskussionen über Umsatzsteigerungen und damit verbundene variable Gehälter. Als Mitte des Jahres die Ziele endlich da waren, hat es keinen mehr interessiert was im Markt abgeht und wie wir darauf reagieren können. Es war immer das gleiche und wenig motivierend. Teilweise konnten wir die Ergebnisse durch harte Arbeit beeinflussen, vieles jedoch lag ausserhalb unserer Reichweite (i.e. Sanktionen, Pleiten, Aufkäufe etc.) Deswegen hörten sich die OKR´s so gut an! Endlich weg von statischen Umsatzzielen, hin zu flexiblen und relevanten Objectives und Key Results. 

Die vielen Veranstaltungen die ich danach besuchte, lieferten mehr oder weniger die gleichen Informationen darüber was OKR sind, woher sie kommen und wie man sie gut implementieren kann. Manche Ansätze waren spannender als andere, aber sie ähnelten sich alle in ihrer Aussage darüber, dass OKR ein relativ einfaches und effektives Werkzeug sind um Unternehmensziele zu erreichen. Als Wirtschaftspsychologin interessierten mich jedoch andere Fragen. Wie erleben Menschen die Einführung von OKR? Was muss beachtet werden, damit kein Stress oder Überforderung entstehen? Und warum verfolgen manche Menschen ihre Ziele mit Ausdauer und Energie und andere nicht? Von Beteiligten und Kunden hörte ich recht unterschiedliche Geschichten. Auf der einen Seite Begeisterung und auf der anderen Seite Frust. Warum war es so? Woran könnte es liegen und was braucht es um OKR nachhaltig im Unternehmen einzuführen?

Ich bin diesen Fragen auf den Grund gegangen und habe Ziele im allgemeinen und OKR im speziellen aus psychologischer Perspektive analysiert. Dabei ging es hauptsächlich darum die Anforderungen zu verstehen, die durch anspruchsvolle und spezifische Ziele für Individuen und Gruppen entstehen. Dazu bin ich tief in die Motivationspsychologie eingetaucht und habe Ziele aus der psychologischen Brille im Arbeitskontext betrachtet. 

Was habe ich dabei gelernt?

  • Die Vorgabe von schwierigen, spezifischen und erreichbaren Zielen ist eine wichtige Voraussetzung für Leistungshandeln. Schwierige Ziele wirken aktivierend und erhöhen die Ausdauer. Spezifische Ziele schaffen Klarheit über den geforderten Leistungsstandard und reduzieren so die Varianz der Leistung. Sind Ziele hingegen vage formuliert, kann eine ganze Bandbreite an Handlungsergerbnissen passend sein. Untersuchungen zeigen, dass bei vagen Zielen die Zufriedenheit trotz schlechterer Ergebnisse höher ist. Der Zielursprung, ob partizipativ oder über „tell and sell“ ist dabei unwichtig (Latham & Locke, 2002; Nerdinger, 2013; Wegge, 2004)
  • Das OKR-Konzept greift die oben genannten Erkenntnisse der Zielsetzungstheorie von Locke und Latham (1991) auf und entwickelt darauf basierend ein Zielmanagement-Modell für Unternehmen
  • Wichtig für die Zielakzeptanz und die Zielbindung und somit für die Leistungsbereitschaft ist die Zielpassung oder Motiv-Ziel-Kongruenz. Die Zielpassung beschreibt die Übereinstimmung der impliziten und expliziten Motive eines Individuums (Schmitt & Brunstein, 2004; Sevincer & Oettingen, 2009; Wegge, 1998). Diesen Aspekt konnte ich in der vorhandenen OKR Literatur nicht finden.
  • OKRs sind ein gutes Tool um Ziele zu setzen, sie geben jedoch wenig Antworten darauf wie die Ziele auch erreicht werden können. In der Psychologie wird in diesem Zusammenhang zwischen Prozessen der Zielsetzung und des Zielstrebens unterschieden (Gollwitzer, 1995, 1997)
  • Im OKR Konzept werden keine interindividuellen Unterschiede wie Fähigkeiten, Fertigkeiten und dispositionelle Faktoren berücksichtigt. Zielorientierung ist ein solcher dispositioneller Faktor. Er schafft einen impliziten, mentalen Referenzrahmen, innerhalb dessen Individuen eine Leistungsituation bewerten und darauf reagieren (Nerdinger, 2004, 2013). So empfinden Menschen mit einer Leistungszielorientierung herausfordernde Aufgaben als Bedrohung, da sie ein hohes Maß an Misserfolgsrisiko in sich bergen. Personen mit Lernzielorientierung sehen schwierige Aufgaben als Chance zu lernen und Ihre Kompetenzen weiterzuentwickeln. Während die ersteren bei schwierigen Aufgaben eher maladaptive Verhaltensmuster entwickeln und sich von den Ziele distanzieren, entwickeln die zweiten adaptive Verhaltensmuster und reagieren mit Ausdauer, Lösungsorientierung und erhöhter Anstrengung ( Sevincer & Oettingen, 2009, Vande Walle, et al., 1999).

Die Zielsetzungstheorie (Locke & Latham, 1991) nennt neben der Zielschwierigkeit und Zielspezifität auch einige andere Parameter die eine Auswirkung auf die Leistung haben . So spielen die Selbstwirksamkeitserwartung, Aufgabenkomplexität, Feedback sowie die Zielbindung und Zielwichtigkeit eine Rolle. Zu diesen Dimensionen schweigt sich die OKR Literatur aus.

Modell der Zielsetzungstheorie nach Locke und Latham
Abb. 1: Modell der Zielsetzungstheorie nach Locke und Latham (1991)

Picken wir uns z.B. die Aufgabenkomplexität heraus. Untersuchungen zeigen, dass die Aufgabenkomplexität sowie Fähigkeiten und Fertigkeiten einen Einfluss auf die Leistung haben. Je schwieriger das Ziel bei einfachen Aufgaben, desto höher die Leistung. Dieser Effekt kehrt sich bei komplexen Aufgaben um. Erfolg und Leistung hängen bei komplexen Aufgaben von den zur Verfügung stehenden Handlungsstrategien ab. Sind diese nicht vorhanden oder müssen erst erlernt werden, wirkt sich das zunächst leistungsmindernd aus. In dieser Lernphase binden schwierige Ziele die Aufmerksamkeit in Richtung Zielerfüllung, behindern dadurch das Lernen und führen zu unsystematischem herumprobieren (Wegge, 2004; Kanfer et al., 2017).  Warum ist das wichtig? Agile Methoden entfalten ihr Potential bei komplexen Aufgaben unter hoher Unsicherheit. Das heißt zwangsläufig, dass vor allem am Anfang Lernen ein wesentlicher Teil der späteren Zielerreichung ist. Henrik Kniberg veranschaulicht das sehr schön in seinem Video „Agile Product Ownership in a Nutshell“. Wie wäre es also, vor allem am Anfang einer Entwicklung, Lern- statt Leistungsziele zu definieren? Das wäre für mich ein spannendes Experiment. Im OKR Konzept werden keine Aussagen zu Lernzielen und Aufgabenkomplexität getroffen. Das kann bei den Beteiligten zu Stresserleben und Frust führen.

Product Ownership in a Nutshell
Abb. 2: Product Ownership in a Nutshell (Kniberg, 2012)

Das Beispiel oben ist nur eines von vielen und es macht deutlich, dass ein vermeintlich einfaches Framework nicht Antworten auf alle Fragestellungen und Probleme bieten kann. Vielmehr sollte es die Bedürnisse sowie die Ausgangssituation in der Organisation und der Teams berücksichtigne und daran angepasst werden.

Welche Implikationen ergeben sich aus meiner Analyse für die Praxis:

→ Lernprozesse und Zielverfolgung hängen in Zukunft eng zusammen.

  • Zielsetzungsprogramme sollten durch unterstützende Personalentwicklungsmaßnahmen flankiert werden, damit die Mitarbeitenden die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Zielerreichung entwickeln können. Siehe dazu auch unsere Blogbeiträge zu Agile HR.
  • Formulierung von Lernzielen statt Leistungszielen bei innovativen und herausfordernden Tätigkeiten (Seijts et al., 2004; VandeWalle et al., 1998)
  • Gestaltung der Arbeitsumgebung, um die Motivation sicherzustellen (z.B. nach dem Job-Characteristics-Modell von Hackmann & Oldham, 1976)
  • Trainings zur Steigerung der motivationalen Kompetenz um eine bessere Motiv-Ziel-Passung hinzubekommen (Schmitt & Brunstein, 2004)
  • Das Rubikon-Modell von Heckhausen & Gollwitzer (1987) könnte als Rahmen für die Ableitung von Maßnahmen entlang der unterschiedlichen Handlungsphasen unterstützend sein

  Wer mehr wissen möchte, kann mich gerne unter zoi.natsiopoulou@improuv.com  kontaktieren und mit mir diskutieren. Ich freue mich darauf.

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