16.01.2016
/ Von Alexander Marquart

Die Umstellung von einer projektorientierten Entwicklung hin zu einer agilen Produktentwicklung ist ein nicht zu unterschätzendes Unterfangen. Gerade dann, wenn das Unternehmen streng hierarchisch organisiert ist, viele Spezialistenabteilungen existieren und auf die Genialität eines Projektleiters als maßgeblichen Erfolgsfaktor vertraut wird. Dagegen das Konzept eines cross-funktionalen, selbstverantwortlichen Produktionsteams zu stellen, ist in vielen Fällen eine Herausforderung. 

Problemstellung

Häufig wird zunächst auf Team-Ebene „agilisiert“ – meist ein Team als Pilot, um die neue Herangehensweise auszutesten und Erfahrungen zu sammeln. Dies ist ein vermeintlich schnell umzusetzender Schritt: Umbenennung des Projektleiters in Scrum Master oder Product Owner und die Einführung eines morgendlichen Stand-up Meetings an einem Task-Board. Aber selbst wenn eine Transition eines bestehenden Projektteams mit einer sinnvollen Begleitung stattfindet und auch die Werte einer agilen Produktentwicklung beachtet und gelebt werden, stehen diese Transitionen schnell vor einem großen Problem: Der Übergabe von Arbeitsartefakten in die Restorganisation oder Abhängigkeiten zu anderen Projekten oder bestehenden Deployment-Prozessen.

Nicht selten beobachte ich, dass der Aufbau eines cross-funktionalen Produktionsteams die komplette Struktur und Kultur eines Unternehmens auf den Kopf und in Frage stellt. Gerade dann, wenn dieses Team alle zwei Wochen ein marktfähiges Produktinkrement ausliefern soll und dabei die komplette Produktionskette von der Idee über die Konzeption, das Design, eine testgetriebene Entwicklung bis hin zu einem automatischen und schnellen Deployment mit Livegang abdecken soll.

Ein Scrum Master oder ein Agile Coach, der dies bewerkstelligen möchte, wird dies selten alleine schaffen. Hierzu bedarf es weiterer Unterstützer, die die agile Transition im Unternehmen mit voran treiben. Ein Team von Änderungswilligen – ein Transition-Team.

Ansatz

Dieses Transition-Team hat zur Aufgabe, sich um den Änderungsprozess zu kümmern und Hindernisse, die im Unternehmen existieren, aus dem Weg zu räumen. Diese können mannigfaltig sein:

  • Zugehörigkeit von Produktions-Team-Mitgliedern zu Spezialistenteams, die nur anteilig in den jeweiligen – meist mehreren – Projekten mitarbeiten.
  • Eine Vielzahl von unklaren Beauftragungskanälen, über die das Produktions-Team bombardiert wird.
  • nicht-priorisierte und unter Umständen gegensätzliche Anforderungen
  • Führungskräfte, die ihren Mitarbeiterstab verwalten anstatt die Produktions-Teams zu unterstützen.
  • Raumprobleme, die eine Vor-Ort-Zusammenarbeit des Teams nicht ermöglichen.
  • Probleme durch bestehende Abteilungs-Rivalitäten, die durch die neue Zusammensetzung im cross-funktionalen Team nun zu Tage treten.
  • Räumliche und kommunikative Trennung zwischen Auftraggeber (häufig Produktmanagement) und dem Produktionsteam.
  • fehlende Markt- und vor allem Kundenfokussierung
  • und vieles mehr

Wie man sieht, ist das Themenspektrum sehr breit gefächert und betrifft sämtliche Bereiche einer sinnvoll angelegten Transition und in der Regel auch alle Unternehmensbereiche. Darüber hinaus sind dies Themen, die unter Umständen lange gelebte Vorgehensweisen im Unternehmen in Frage stellen und deshalb heikel sind und nicht selten in ausgewachsene Konflikte ausarten.

Aus diesem Grund sollte die Zusammensetzung des Teams folgenden Anforderungen genügen:

  1. Das breite Aufgabenspektrum sollte sich auch in der Auswahl der Team-Mitglieder widerspiegeln. Sinnvoll ist es hier, eine Auswahl aus möglichst vielen beteiligten Abteilungen und Geschäftsbereichen des Unternehmens zu treffen. Nur so kann sich das Team erfolgreich um sämtliche Probleme und Hindernisse im Unternehmen kümmern.
  2. Die Team-Mitglieder sollten über ein hohes Maß an Macht und/ oder Reputation im Unternehmen verfügen, um Änderungen auch in schwierigen Feldern durchsetzen zu können und den betroffenen Personen sowohl die für Änderungsprozesse völlig normalen Ängste nehmen zu können als auch den Glauben an die Sinnhaftigkeit des Vorhabens zu vermitteln.
  3. Sie sollten sich als Change Agents verstehen und Änderung und die kontinuierliche Verbesserung als wichtiges Gut ansehen und massgeblich voran treiben.
  4. Nicht zuletzt sollten die Team-Mitglieder agile Werte und Prinzipien kennen oder sich diese aneignen und im eigenen Alltag leben. Nur so können die Team-Mitglieder andere Personen im Unternehmen von den Vorteilen einer Transition überzeugen.

In der Regel wird sich ein Transition-Team wie ein agiles Produktionsteam auch ein Backlog aufbauen, das es gewichtet, priorisiert und abarbeitet.

Ebenso würde ich regelmäßige Retrospektiven anraten, um die unternommenen Schritte zu überprüfen, ob sie die gewünschten Erfolge erzielt haben oder aber ein Strategiewechsel notwendig ist. Auch hier gilt: inspect and adapt!

Rollenbeschreibung

Eine konkrete und in Stein gemeißelte Rollenbeschreibung ist im Gegensatz zu einem nach Scrum arbeitenden Produktionsteam nicht vorgegeben oder Bedingung.

Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass als Product Owner eines Transition-Teams wahlweise der Scrum Master des Produktionsteams erfolgreich fungieren kann, oder – sofern etabliert und vorhanden – ein Agile Coach. Diese können aus der Erfahrung und aus dem konkreten Produktionsalltag Themen platzieren, bei denen das Produktionsteam regelmäßig an seine Grenzen stößt und die ein politisch gut aufgestelltes Transition-Team helfen kann, zu überwinden. 

Einen Scrum Master für das Transition-Team zu etablieren, ist sicher nicht schlecht. Hängt aber maßgeblich von der bereits vorhandenen Erfahrung in agilen Teams ab und vom gusto der beteiligten Personen. Es könnte jedoch die Effektivität des Transition-Teams steigern, andere Personen von agilen Werten zu überzeugen, wenn es selbst nach eben diesen Werten arbeitet. Hier hilft nunmal ein Scrum Master essentiell.

Ansonsten gibt es natürlich die Team-Mitglieder, die sich um die Änderungen im Unternehmen kümmern und den Kontakt zum Produktionsteam halten – den Kern des Teams.

Gewinn

Zweifelsfrei ist der größte Gewinn eines Transition-Teams die Unterstützung eines Agile Coaches oder Scrum Masters, Hindernisse, die dem Produktionsteam begegnen, aus dem Weg zu räumen. Darüber hinaus sollte es Ansprechpartner, Multiplikator und „Marketing“-Organ für das Thema Agilität im Allgemeinen und die agile Transition im Unternehmen sein. 

Wie jedes Änderungsvorhaben in Unternehmen ist auch eine agile Transition vielen Vorbehalten und Angstreaktionen ausgesetzt. Diese gilt es, zu lindern und möglichst zu heilen. Dies können im Unternehmen gut vernetzte Personen am besten, da sie einen Vertrauensvorschuss besitzen. Und in einer Gruppe von Mehreren lässt sich das Thema auch leichter streuen, als alleine. Darüber hinaus können die Team-Mitglieder sich mit ihren Erfahrungen gegenseitig befruchten und coachen, sollte ein Thema mal nicht erfolgreich platziert werden können. Dort wo einer der Team-Mitglieder im Änderungsprozess scheitert, kann dann der andere übernehmen. Letztlich hat man mit der richtigen Auswahl der Beteiligten auch Personen an der Hand, die auch weitreichende und schwierigere Änderungsentscheidungen tatsächlich durchsetzen können, da sie über die nötige politische Macht im Unternehmen verfügen. 

Gefahren

Wie bereits erwähnt ist die Auswahl der passenden Team-Mitglieder der Punkt, der über den Erfolg oder Misserfolg eines Transition-Teams entscheidet. Wenn die Team-Mitglieder zu wenig Macht im Unternehmen besitzen, werden ihre Bemühungen an neuralgischen Punkten ins Leere laufen. Das Team wird unter Umständen seine Änderungsarbeit aus Mangel an Erfolgen einstellen.

Was ich aber auch beobachte, ist eine Besetzung mit politisch gut aufgestellten Personen, die aber weder die Kernzüge von Agilität verstanden und verinnerlicht haben noch den nötigen Änderungswillen mit sich bringen. Häufig eine Folge aus der wenigen Kenntnis über agile Werte und die dabei geänderten Anforderung an Führung. Im Extremfall wird aus einem Transition-Team eine Art Lenkungsausschuss, der über den inhaltlichen Erfolg des Produktes entscheidet und sich im Grunde nicht mit einer Änderung des bestehenden Systems und der Kultur beschäftigt und somit den Namen Transition-Team zu Unrecht trägt. Damit kommt jede Änderung und Hilfe für die Produktionsteams zum Erliegen.

Fazit

Ein Transition-Team kann bei einer agilen Transition ein sehr hilfreiches Mittel sein, um die Probleme, an die ein oder mehrere Produktionsteams beim Hand-over zu anderen Abteilungen stoßen, aus dem Weg zu räumen.

Wichtig dabei ist die sorgfältige Auswahl der Personen, die in einem solchen Team sitzen. Sie sollten ein hohes Maß an Änderungswillen, ausreichend Know-How im Bereich Agilität und die nötige Macht besitzen, kulturelle und systemische Probleme lösen zu können.

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