Scrum Master Blog
24.03.2021
/ Von Jens Coldewey

Mein Blogbeitrag „Warum brauchen wir Scrum Master?“ wurde lebhaft auf LinkedIn diskutiert. Oliver Fischer von der LV1871 hat ihn zum Anlass genommen, seine Kolleginnen und Kollegen zu feiern, was mich sehr gefreut hat. Dankbar war ich auch Jenny Ley-Kumar für einen Kommentar, der mich sehr zum Nachdenken gebracht hat: „[…]Nur eine Frage bleibt:“ schreibt sie, „braucht es unbedingt den Titel ‚Scrum Master‘ – oder sollte nicht jede gute Projektleitung weitgehend so arbeiten?“ Mit dieser Frage möchte ich mich in diesem zweiten Teil beschäftigen. 

Die schnelle Antwort auf: Nein, es braucht nicht unbedingt den Titel „Scrum Master“, um gute Arbeit zu leisten. Ich habe zu viele gute Projektleiter:innen (und schlechte Scrum Master:innen) erlebt, um zu denken, dass der Titel entscheidend wäre. So weit, so oberflächlich. 

Über Kontext 

Bei genauerem Nachdenken über Jennys Frage komme ich allerdings zu dem Schluss, dass ich den Kontext meines Beitrags nicht sauber gesetzt habe. Das möchte ich nachholen. Auslöser für den Beitrag war ein Muster, das wir sowohl in Trainings als auch beim Coaching immer wieder beobachten.

Besonders nett manifestierte sich dieses Muster bei einem Product Owner Trainer für den „Innovation Hub“ eines DAX Konzerns. Im Vorgespräch hatten mir meine Ansprechpartner gesagt „Wir machen zwar Scrum, aber Scrum Master brauchen wir nicht“. Wie immer ließ ich den konkreten Problemen der Teilnehmenden viel Raum. Immer wieder musste ich die Fragen mit dem Nachsatz „Dafür gibt es übrigens den Scrum Master“ beantworten, sodass die Antwort zum Running Gag wurde. Gegen Ende leiteten die Teilnehmenden ihre Fragen mit „Wir wissen, dass das eigentlich der Scrum Master tun müsste, aber…“ ein. Zumindest in dieser Firma wird der Zweck von Scrum Mastern heute nicht mehr in Frage gestellt. Dafür wurden mehrere Stellen für Scrum Master geschaffen. 

In meinem Beitrag ging es also um Organisationen, die Scrum einsetzen. Die volle Überschrift hätte damit lauten müssen „Warum brauchen wir Scrum Master, wenn wir Scrum einsetzen möchten?“ Darauf hätte die Antwort eindeutig „Ja“ lauten müssen. Nicht umsonst heißt es in der neuesten Fassung des Scrum Guides „Kurz gesagt fordert Scrum, dass ein:e Scrum Master:in ein [Scrum gemäßes] Umfeld fördert“. Allerdings hat mir der Kollege vom Marketing von so langen Titeln abgeraten; nicht ohne eine unvorteilhafte Verbindung zwischen meinem Alter und Cervantes‘ Buchtiteln herzustellen… 

Über Projektleitung 

Das korrigiert jetzt zwar eine Lücke in meinem Blog, geht aber immer noch an Jennys Frage vorbei. Man kann die Frage ja auch umformulieren zu „Warum brauchen wir Scrum Master, wenn wir eine gute Projektleitung haben?“ Jenny hat völlig recht: Gute Projektleiter achten auch auf die Zusammenarbeit im Team. Idealerweise fördern sie auch die Selbstorganisation des Teams. Ich stelle mir dann aber die Frage: Wie gut könnten diese Projektleiter:innen erst sein, wenn sie sich vollständig auf diese Aufgabe konzentrieren könnten? Wenn sich jemand anders um die inhaltliche Gestaltung kümmern würde? Und das Team den natürlichsten aller Wege ginge und aufgrund der eigenen Qualifikation sich selbst koordinieren würde?  

Der Effekt ist ähnlich dem eines gut moderierten Meetings: Auch hier gibt es eine Person, die sich ausschließlich um die Zusammenarbeit und die Gruppendynamik kümmert – und sich inhaltlich raus hält. Gerade dadurch können Moderatoren die Neutralität wahren, die es braucht, um Gruppen zu guten Ergebnissen zu führen. Sicher, jeden Tag finden Millionen unmoderierter Meetings statt, viele von ihnen erfolgreich. Wenn der Einsatz aber hoch ist, weil viele Menschen beteiligt sind, oder schwierige Konflikte behandelt werden müssen, dann gehört die Begleitung durch Moderatoren oder sogar Mediatoren zum professionellen Handwerkszeug. 

Man muss diese Rolle nicht „Scrum Master“ nennen. Sie zu haben hilft aber ungemein. 

Man kann übrigens noch eine grundsätzlichere Frage aus Jennys Kommentar ableiten: Muss man unbedingt Scrum einsetzen? Aber diese Frage ist einen eigenen Blog-Eintrag wert. Kleiner Spoiler: Getreu meiner Argumentation oben, lautet auch hier die generische Antwort „Nein“ – schließlich enthält die Frage das Wort „unbedingt“. Aber ganz so einfach möchte ich es mir dann doch nicht machen. 

Artikel wurde in den Warenkorb gelegt.