11.09.2019
/ Von Sabine Canditt

Gerade ist mir beim Aufräumen dieses Bild in die Hände gefallen. Es zeigt die Gruppe der Certified Scrum Trainer beim Scrum Gathering in Prag, 2015. Es gibt nur eine Frau darauf, und das bin ich.

Mittlerweile gibt es ca. 25 CSTs im deutschsprachigen Raum – und ich bin immer noch die einzige Frau! Auch unter den Certified Enterprise Coaches bin ich die einzige Frau. Und das obwohl Coaching eindeutig in den Bereich “Arbeit mit Menschen” fällt und daher eher dem klassischen Interessengebiet von Frauen zuzuordnen ist. Eine Studie zeigt, dass z.B. im HR-Bereich deutlich mehr Frauen (70%) als Männer tätig sind (der Prozentsatz bei den Führungspositionen in diesem Bereich sieht leider ganz anders aus). Auch der akademische Nachwuchs bei HR-Masterstudiengängen ist mit 80% sehr frauenlastig. Dem gegenüber steht der immer noch geringe Anteil von Frauen in MINT-Fächern: der Anteil der Absolventinnen im Studienbereich Elektrotechnik und Informationstechnik lag 2016 bei 11% (immerhin eine Steigerung um 2 Prozentpunkte seit 2008). Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum ich immer noch vergeblich auf eine weibliche “Verstärkung” warte: Um Certified Scrum Trainer zu werden, muss man erst mal als Scrum Master seine Sporen verdienen. Und die Scrum Master kommen immer noch zum großen Teil aus der IT.

Ich habe keine Statistik in meinen meinen Scrum-Master-Trainings erhoben, aber gefühlt sind es ca. 20% Frauen dort. Ich erinnere mich noch an ein Product-Owner-Training, wo es mehr Teilnehmerinnen als Teilnehmer gab!

Warum es in den Informationstechnik immer noch so wenige Frauen gibt, ist oft diskutiert worden. Es werden Gründe genannt wie:

  • Schlechtes Image (der Programmierer gilt als “Nerd”)
  • Frühkindliche Sozialisierung und stereotype Geschlechterrollen
  • Angst vor den Problemen, die mit der Arbeit in einer männerdominierten Sparte
  • Glaube, dass Familiengründung und Beruf in der Informatik unvereinbar seien

Es gibt viele Argumente, die für eine technische Ausbildung sprechen, allen voran die guten Berufsperspektiven und wirklich interessante Tätigkeitsfelder. Ich selbst habe Elektrotechnik studiert und viele Jahre lang Software entwickelt. Das hat mir Spaß gemacht und mir viele Perspektiven eröffnet. Das Fehlen eines solchen Hintergrundes sollte aber potenzielle Scrum Masterinnen nicht abschrecken: ihr müsst nicht nicht unbedingt eine versierte Programmiererin sein. (Interessant, die Rechtschreibkorrektur unterschlängelt das Wort “Programmiererin” und schlägt stattdessen “Programmierer” vor). Wohl wahr, die Scrum Masterin soll mit ihrem Team an der Verbesserung der technischen Fähigkeiten arbeiten, aber das muss sie nicht unbedingt selbst leisten. Im Gegenteil, gute Programmierer*innen sind häufig versucht, schnell mal selbst Hand anzulegen, weil das einfacher ist und schneller geht als die Kollegen dabei zu coachen. Leider verstehen viele Auftraggeber die Rolle des Scrum Masters immer noch als eine Mischung aus technischem Experten, Teamleiter und Projektleiter, der nebenher ein Jira-Task-Board verwaltet und Einladungen zu Meetings über Outlook verschickt. Und dann hat es eine Scrum Masterin ohne technischen Hintergrund natürlich schwer.

Zum Glück ist der Wert von Diversität in Teams mittlerweile erkannt und akzeptiert, und viele Unternehmen sind aktiv auf der Suche nach geeigneten Frauen. Gerade in der agilen Welt können wir Frauen einen besonderen Beitrag leisten: Studien zufolge legen Frauen besonderen Wert auf ein zwischenmenschliches Verhältnis (“ Individuen und Interaktionen…”) am Arbeitsplatz. Und nehmen wir das oft vergessene Prinzip Nr. 8 aus dem Agilen Manifest: “nachhaltige Entwicklung” (sustainable pace). Für Frauen ist die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit bei der Berufswahl immer noch wichtiger als für Männer. Noch immer sind es eher die Frauen, die sich um die Kinder kümmern. Zwar nehmen immer mehr Männer Elternzeit in Anspruch, aber meistens nur zwei Monate. Das hohe Tempo, das in vielen Organisationen gang und gäbe ist, der Druck, Überstunden zu machen und ständig erreichbar zu sein: all das hat mit familienfreundlichem Denken wenig zu tun. Wir Frauen können einfordern, dass dem Bekenntnis zum “Erfolgsfaktor Familie” auch Taten folgen. Ich bin sehr froh, in einer Firma wie improuv zu arbeiten, wo die familiäre Situation berücksichtigt wird. Vielleicht haben wir deshalb einen Frauenanteil von über 50% – auch bei den Agilen Coaches.

Was könnte helfen, Frauen Mut zu machen, den Weg einer Scrum Masterin einzuschlagen?

  • Mehr Vorbilder und Mentor*innen. Es gibt gerade eine tolle Initiative, LIA100 (Lean In Agile for Women), die herausragende Frauen und ihren Anteil zur agilen Community herausstellen. Schaut euch mal das Interview mit Lyssa Adkins an, um nur eine von ihnen zu nennen.

Mehr Austausch mit anderen Frauen. Ein Beispiel: habt ihr schon mal erlebt, dass ihr ein einem männlich dominierten Team nicht so richtig zu Wort kommt und vielleicht sogar dauernd unterbrochen werdet? Nicht aus bösem Willen oder mangelndem Respekt; euren männlichen Kollegen ist dieses Verhalten wahrscheinlich gar nicht bewusst. Ihr seid nicht die einzigen! Es tut gut, das festzustellen und sich darüber auszutauschen, was frau in so einer Situation tun kann.

Gegenseitige Förderung. Zum Beispiel haben wir uns als Certified Scrum Trainerinnen vor zwei Jahren beim Scrum Gathering in Dublin darauf verständigt, uns gegenseitig und auch Trainer-Kandidatinnen zu unterstützen. Women in Agile vereinigt mehrere von diesen Aspekten.

Und jetzt die gute Nachricht: Anna Rudat (die hoffentlich bald die zweite Certified Scrum Trainerin in Deutschland wird) und ich haben uns entschieden, ein Certified Scrum MasterINNEN Trainingnur für Frauen anzubieten. In diesen drei Tagen können wir nicht nur die Learning Objectives der Scrum Alliance abdecken, sondern uns über Themen austauschen, die für uns als Frauen interessant und wichtig sind. Es ist ein Experiment, mit dem wir unsere Hypothese testen wollen, dass es ausreichend Bedarf für so ein reines Frauentraining gibt. Ihr könnt uns dabei helfen, indem ihr die Botschaft an mögliche Teilnehmerinnen verteilt.

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